Technik nein danke

Zugegeben, dieser Titel ist etwas reißerisch. Aber je mehr ich mich mit Fotografie beschäftige, umso mehr ist es egal mit welcher Kamera oder welchem Objektiv ein Bild aufgenommen wurde. Oder ob die förderliche Blende verwendet wurde. Oder ob der Filter eine Vergütung hatte. Total egal.

Bei vielen Fotografen habe ich den Eindruck, dass sie sehr auf die Technik fokussiert sind. Zum Beispiel im Dslr-Forum, einem Internetforum mit knapp einer halben Million Nutzer und über 10 Millionen Beiträgen. Dort geht es nicht um Fotografie, dort geht es um Fototechnik. Die neue Kamera X ist schlecht, weil der Autofokus nur 9 Kreuzsensoren hat. Das Objektiv Y ist bei Offenblende nicht zu verwenden, da hat es weniger als 1800 Linienpaare pro Bildhöhe Auflösung. Und die Speicherkarte Z erreicht noch nicht mal 30 Megabyte pro Sekunde. Oh mein Gott.

Mal ehrlich Leute, damit macht ihr nicht ein besseres Foto! Es geht doch um das Bild als Ganzes! Dieses Ganze Rumgereite auf dem letzten Pixel… ach, ich kann es nicht mehr sehen und nicht mehr hören. Die Kamera rauscht bei ISO 1600? Dann betrachte das Bild doch mal als 20×30 Print statt die 36-Megapixel-Datei in der 100%-Ansicht am Monitor anzuschauen!

Wobei ich mich gar nicht von dieser Technikverliebtheit lossagen will. Ich war ihr in der Vergangenheit auch etwas verfallen, das muss ich gestehen. Die Anschaffung einer neuen Kamera oder eines Objektivs kann man damit wunderbar rechtfertigen. Es macht bessere Bilder, da in dem Testbericht, da steht es schwarz auf weiß. Mein Bild ist mit einem besseren Objektiv aufgenommen als deins. Fakt. Aber was sagt das über das Bild aus? Was sagt das zur Bildgestaltung, zur Bildaussage, zur emotionalen Wirkung des Motivs? Tja, darüber zu reden ist viel schwieriger als zu den technischen Themen. Da gibt es auf einmal keine harten Fakten mehr.

Die Tatsache, dass eine (im konventionellen Sinn) technisch fehlerhafte Fotografie gefühlsmäßig wirksamer sein kann als ein technisch fehlerloses Bild, wird auf jene schockierend wirken, die naiv genug sind zu glauben, dass technische Perfektion den wahren Wert eines Fotos ausmacht. [Andreas Feininger]

Je mehr ich mich mit Fotografie beschäftige – und das sind inzwischen 10 Jahre – desto mehr merke ich wie irrelevant letztendlich die Technik ist. Sicher, man sollte damit umgehen können und keine groben handwerklichen Fehler begehen, gewisse Grundlagen bedarf es schon. Aber auch mit einem schlechten Kochtopf lässt sich ein gutes Essen kochen.

Zwar ist es richtig, dass man mit besseren Werkzeug besser arbeiten kann – dennoch möchte ich dem Paddy widersprechen, dass es doch auch auf die Kamera ankommt. Denn auch vor Jahren wurde tolle Bilder mit den damaligen Kameras gemacht und das waren keine Zufallstreffer. Vielleicht war es handwerklich etwas anspruchsvoller als heute, wo die Technik weiter fortgeschritten ist, aber es hat dennoch gut funktioniert. So groß ist der Fortschritt nicht, wie die Marketingabteilungen der Kamerahersteller uns bei jeder Neuvorstellung erzählen wollen.

Zumindest wenn ich von normaler Fotografie rede, wo man Licht und einen kleinen Moment Zeit hat. Denn was die Technik der neueren Kameras durchaus bietet, sind mehr Möglichkeiten im Grenzbereich. Kein Fotograf würde auf die Idee kommen z.B. ein Handballturnier in dunkler Nacht zu fotografieren (vermutlich gibt es so ein Turnier auch nicht), aber mit den ISO-Werten und Servo-AF-Funktionen moderner Kameras wird sowas möglich. Die Frage ist nur, wie oft man solche Funktionen braucht und wie praxisrelevant sowas ist. Für 95% aller Bilder reichen die Funktionen und die Bildqualität von aktuellen Kameras doch locker für fast alle Anwendungen aus.

Wesentlich wichtiger sind doch Themen wie Bildgestaltung, Bildwirkung, Komposition… der entscheidende Augenblick, das eine Lächeln, der Ausdruck in den Augen… welches Gefühl das Bild rüberbringt. Der Bildschnitt, die Farben, Kontraste, eine Tönung, das Bildformat… das sind doch interessante Themen und ich finde es lohnt sich deutlich mehr damit zu befassen als das letzte Quentchen Schärfe in der 100% Ansicht am Monitor. Wenn du also eine brauchbare DSLR und ein paar Objektive hast und dich verbessern willst, dann macht es vielleicht eher Sinn mal einen Bildgestaltungskurs zu machen statt das neuste Kameramodell zu kaufen 😉

22.03.2015

You may also like

2 comments

  • Andre 23.03.2015   Reply →

    top, Martin!
    Du hast hast es auf den Punkt gebracht!

  • Reinhard 26.05.2015   Reply →

    Und schon wieder ein Volltreffer… 🙂 Klasse!

Leave a reply to Andre Cancel reply